Am 21. September 2018 fand das erste Vernetzungstreffen unseres Projektes statt. Wir entschieden uns für ein Open Space Format, um den Teilnehmenden die Möglichkeit der thematischen Schwerpunktsetzung zu gewähren.
Die Diskussion fand ihren Anfang in der von Frederic Vobbe artikulierten Annahme, dass sexualisierte Gewalt mit digitalem Medieneinsatz bei Helfer*innen tendenziell Ohnmachtsgefühle und daraus resultierende Belastungen verstärkt. Demzufolge bestehe ein „Kontaktrisiko“ bei Fällen, in welchen Bild- oder Videoaufnahmen gewaltbetroffener Personen weiterverbreitet wurden.
Teilnehmende des Netzwerktreffens ergänzen, dass der Austausch mit unterschiedlichen Zielgruppen im Rahmen von Prävention sowie Intervention bei sexualisierter Gewalt mit digitalem Medieneinsatz besonders normativ und bisweilen moralisch-reaktionär aufgeladen sei. Gewaltopfern werde häufig eine Mit- oder Teilschuld (Stichwort: Blaming the Victim) unterstellt. Gegenstand solcher Diskussionen sei vor allem das vermeintlich riskante Online-Verhalten der gewaltbetroffenen Personen und weniger die Verantwortung der Täter*innen. Als besonders herausfordernd erleben es spezialisierte Fachkräfte, wenn Elternteile von gewaltbetroffenen Kindern und Jugendlichen derartige Positionen vertreten.
Es folgte ein Panel zur Weiterentwicklung institutioneller Schutzkonzepte. Dem Panel lag die Annahme zugrunde, dass die wenigsten institutionellen Schutzkonzepte an die Herausforderungen digitaler Mediennutzung und sexualisierter Gewalt mit Medieneinsatz angepasst sind. So widmete sich die Diskussion der Frage, wie das Wissen um digital gestützte Täter*innenstrategien in präventive Strukturen übersetzt werden könne.
Im Kontext der Implementierung institutioneller Schutzkonzepte, die digitale Medien berücksichtigen, sahen die Teilnehmenden zunächst dieselben Widerstände, wie im Rahmen einer allgemeinen Implementierung präventiver Strukturen. Die Umsetzung wird durch einen Mangel an bereitstehendem Geld und zeitlichen Personalressourcen, eine unzureichende und nicht kontinuierliche Beteiligung von Leitung, Funktionsträger*innen und Zielgruppen n den Institutionen sowie unterschiedliche Vorbehalte gegen entsprechende Angebote gehemmt. Ein gesellschaftliches Bewusstsein für das Thema und damit politisch-finanzielle Bedingungen müssen weiterhin verbessert werden, um den Rahmen für eine ganzheitliche Prävention zu eröffnen. Die Vernetzung der zu dem Thema spezialisierten und engagierten Facheinrichtungen ist eine Voraussetzung dafür.
Es folgte ein zweites Panel zu Zweck und Risiko einer gewaltfokussierenden Begriffswahl am Beispiel der Begrifflichkeiten Sharegewalt und Sexting. Ausgangspunkt stellte die Beobachtung, dass der Begriff „Sexting“ in der Pädagogik vorschnell negativ konnotiert wird. Oft wird Sexting mit Gewalthandlungen gleichgesetzt oder er beinhaltet unterschwellige Schuldzuweisungen. In der Diskussionsrunde setzten wir uns mit Konsequenzen einer derart missverständlichen Begriffsverwendung auseinander und besprechen am Beispiel des Begriffs „Sharegewaltigung“ den Anwendungszweck sowie mögliche Risiken sexualisierte Gewalt fokussierender Begrifflichkeiten.
Konsens besteht unter den Teilnehmenden dahingehend, dass die pädagogische Praxis Begriffe für die digital verübten Formen sexualisierter Gewalt finden muss. Inwieweit der Begriff der „Sharegewalt/igung“ ein geeigneter ist, wird hingegen kontrovers diskutiert. Einigkeit besteht insoweit, als dass „Sharegewaltigung“ als geeigneter Arbeitsbegriff für pädagogische Fachkräfte wahrgenommen wird, dessen Praxistransfer in die unmittelbare Beratungs- und Präventionsarbeit jedoch zu prüfen bliebe. Die Teilnehmenden teilen die Ansicht, dass die Konzeption von Begrifflichkeiten für die Beratungs- und Präventionsarbeit ebenfalls partizipativ, sprich gemeinsam mit betroffenen Kindern und Jugendlichen, erfolgen muss.
Das dritte Panel beschäftigte sich mit den Herausforderungen der Intervention im Falle technisch gestützter Gewalt. Mit Blick auf die technischen Herausforderungen, die sich im Zuge der Intervention bei digital unterstützter sexualisierter Gewalt stellen, diskutieren die Teilnehmenden die oftmals vorhandene „digitale Unwissenheit“, worunter mannigfaltige Unsicherheiten wie Unklarheiten hinsichtlich der Nutzung digitaler Medien verstanden werden. Die dieser Situation geschuldeten Ohnmachtsgefühle auf Seiten der Betroffenen, aber auch auf Seiten der Helfenden können in Form des gemeinsamen Aushaltens als Gelingensfaktor einer erfolgreichen Stabilisierungs- und Beratungstätigkeit wirken. Nichtsdestotrotz fordern die Teilnehmenden die Schaffung eines interdisziplinären Netzwerks, das durch seine IT-Expertise als eine zentrale Stabilisierungsfunktion im Sinne der Vermittlung eines Gefühls von Sicherheit qua „digitaler Souveränität“ für Betroffene und gleichermaßen Fachkräfte in der täglichen pädagogischen Praxis fungieren kann.
Unsere Projektpräsentation können Sie unter diesem Link einsehen.